Die katalanische Mittelmeermetropole Barcelona ist eine vielseitige und lebendige Stadt, die man gerne mit Gaudi, Fußball, Dalí oder sogar mit Christopher Columbus verbindet. Andererseits gehört theoretische Physik wohl nicht zu den ersten Assoziationen und ist generell mit gängigen Spanienklischees schlecht vereinbar. Obwohl mein Wunsch, spätestens nach dem Doktorat die gemütliche Linzer „Alma Mater Kepleriana“ zu verlassen und internationale Erfahrung zu sammeln, schon länger feststand, hatte auch ich zunächst andere Destinationen im Visier.
Die nötigen Bausteine für meinen Forschungsaufenthalt fügten sich gegen Ende meines Doktorats zusammen. Der wichtigste Punkt war wohl die Fragestellung, die mich die nächsten beiden Jahre beschäftigen sollte: die quantenmechanische Beschreibung eines Festkörpers im Magnetfeld. Für Nicht-Physiker mag das etwas schrullig klingen, aber der Umstand, dass es für ein so fundamentales physikalisches Problem keine wirklich befriedigende Lösung gab, würde mir noch heute den Schlaf rauben, hätte ich das Schrödinger-Stipendium nicht bekommen. Bedingt durch das etwas „exotische“ Thema war mir bei der Auswahl eines möglichen Forschungsstandortes weniger die spezielle fachliche Qualifikation, sondern vor allem ein breites Spektrum an Forschern im Umfeld wichtig.
Die Verbindung zu Barcelona wurde schließlich durch den Kontakt zu meinem zukünftigen Gastgeber hergestellt, Eduardo Hernandez vom „Instituto de Ciencia de Materials de Barcelona“ (ICMAB), den ich im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit meinem Doktorvater Eckhard Krotscheck kennen lernte. Sowohl das ICMAB selbst als auch benachbarte Institute decken ein breites Spektrum an Materialwissenschaften und Festkörperphysik ab und gehören auf ihrem Gebiet wohl zu den im Moment aktivsten Adressen in Europa. Ein weiterer wichtiger Grund für die Wahl von Barcelona befindet sich in der Kapelle Torre Girona im nördlichen Teil der Stadt: MareNostrum, einer der größten Supercomputer Europas. Etwa zur Mitte meines Stipendiums ist mein Gastgeber aus familiären Gründen nach Madrid an das „Schwesterinstitut“ ICMM gewechselt, und ich habe mich entschieden, mit umzuziehen. Dadurch bot sich die Möglichkeit, an einem der bekanntesten Forschungszentren für Graphen zu arbeiten – einem Material, für das wir uns auch im Rahmen unseres Projektes zu interessieren begonnen hatten. Der Kontakt zum ICMAB in Barcelona blieb dabei auch nach dem Umzug aufrecht.
Forschungsstätte
Der auffälligste Unterschied zu Österreich ist – mit jeweils mehreren hundert wissenschaftlichen Mitarbeitern – die Größe der spanischen Forschungseinrichtungen. Die gerade im deutschsprachigen Raum übliche Trennung in theoretische Physik und Experimentalphysik existiert hier nicht: Die Institute sind viel eher nach Themenbereichen gruppiert, und Experimentatoren und Theoretiker arbeiten praktisch Tür an Tür. Beide Einrichtungen sind – wie österreichische Institute auch – sehr international ausgerichtet. Allerdings wird mir erst hier bewusst, dass auf meiner „wissenschaftlichen Landkarte“ bisher ein ganzer Kontinent gefehlt hat: Südamerika. Viele meiner neuen Kollegen sind aus Ländern wie Kuba, Brasilien, Kolumbien oder Puerto Rico. Das liegt natürlich einerseits an der niedrigen Sprachbarriere und kulturellen Ähnlichkeit, aber auch daran, dass sich Spanien als europäischer Brückenkopf zu Lateinamerika versteht.
Land und Leute
Da meine Wahl auf Spanien vergleichsweise kurzfristig gefallen war, hatte ich mich vor meiner Ankunft nur recht oberflächlich mit dem Land und seiner Kultur beschäftigt. Die Spanier sind hier zum Glück sehr hilfsbereit, und es gibt in jeder spanischen Region genügend Bräuche und Feste, auf die man gerne zu einem Schnellkurs in spanischem Lebensgefühl mitgenommen wird. Wobei an dieser Stelle auch eine Entschuldigung angebracht ist: Spanien besteht aus 17 autonomen Regionen mit eigener Kultur und Geschichte und insgesamt vier unterschiedlichen Sprachen – die Bezeichnung „die Spanier“ wird dieser Vielfalt natürlich in keiner Weise gerecht. In Katalonien reicht die Palette spannender Bräuche vom Volkssport, meterhohe Pyramiden aus Menschen zu bauen, bis zum für Außenstehende etwas irren „Correfoc“, dem traditionellen Feuerlauf. Diesen darf man sich als organisierte Schneeballschlacht mit Feuerwerkskörpern vorstellen, zu der eine ganze Stadt, bewaffnet mit Haube, Skibrille und Schal, anrückt – also eine Art Vollkontakt-Perchtenlauf mit Schweizerkrachern.
Durch meinen Wechsel von Barcelona nach Madrid in der Mitte des Stipendiums hatte ich die Gelegenheit, gleich zwei verschiedene Regionen – Katalonien und Kastilien – genauer kennenzulernen. In Gesprächen und Zeitungsartikeln wird deutlich, wie sehr sich die jüngere spanische Geschichte von jener der meisten anderen europäischen Länder unterscheidet. Spanien ist – nach Bürgerkrieg und Franco-Diktatur bis 1975 – eine vergleichsweise junge Demokratie, und der Einfluss der Franco-Jahre ist in der Tagespolitik noch viel stärker präsent als zum Beispiel in Österreich die Zeit des ZweitenWeltkrieges.
Rückkehr
Das erfreuliche wissenschaftliche Ergebnis des Aufenthalts ist, dass ich nun wieder ruhig schlafen kann: Mein Problem hat sich zwar zunächst als „lösungsresistenter“ herausgestellt als ursprünglich angenommen, hat dafür aber auch teils überraschende und unerwartete Erkenntnisse hervorgebracht. Ohne die Möglichkeit, sich durch das Stipendium finanziert zwei Jahre lang ausschließlich auf dieses eine Problem zu konzentrieren, hätten wir die Arbeit vermutlich nicht zu Ende geführt. Als Lohn für die Mühe stehen am Ende viele neue und unerwartete Möglichkeiten und ein nach wie vor aktiver wissenschaftlicher Kontakt mit den Gastinstitutionen – mit dem angenehmen Nebeneffekt, noch öfter Gast in Barcelona oder Madrid sein zu dürfen.
obwohl ich nach wie vor bei deiner arbeit vor einem rätsel steh, hat mich dein Artikel beeindruckt
wohl eher, weil ich ein spanienfreak bin ;-)