Filmstill aus der queeren Community zeigt zwei Frauen und einen Mann in lasziven Posen und Kostümen.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden Filme aus der LGBTIQ+-Community gesammelt und archiviert, die nie für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt waren. Mit viel kuratorischem Gespür haben die Forschenden Strategien für die Präsentation dieser lange verborgenen Dokumente queerer Geschichte entwickelt. © Österreichisches Filmmuseum, Franz Mulec, Bump, 1977

Bis 1971 gab es in Österreich ein Totalverbot von Homosexualität. Erst 1996 wurde auch das Werbe- und Vereinsverbot für LGBTIQ+-Personen aufgehoben. Ein Erlass, der eine ganz ausschlaggebende Dimension für die Darstellung queerer Lebensformen aufmachte: De facto war es ein wesentlicher Schritt, die visuelle (Re-)Präsentation von schwulen, lesbischen, Inter- und Transpersonen zu entkriminalisieren. Das hatte nicht zur Folge, dass die Diskriminierung der dargestellten Lebensformen automatisch endete. Aber rechtlich war es ein wichtiger Schritt, der in Zeiten von Social Media und repressiven Systemen wieder aktueller denn je erscheint.

„Mit Blick auf eine queere visuelle Geschichte unterscheide ich drei Sphären von Öffentlichkeit: Eine ‚große‘ Öffentlichkeit, gespiegelt in Fernsehen und Film mit ihren Repräsentationen von LGBTIQ+. Dann eine Gegenöffentlichkeit oder Halböffentlichkeit, von der aktivistische Filme zeugen, die schwule oder lesbische Communitys gemacht haben. Und schließlich gibt es noch so etwas wie eine ‚geheime Öffentlichkeit‘, in der ich verorte, was großteils in Homemovies oder persönlichen Mitschnitten erhalten ist“, erklärt Katharina Müller, Abteilungsleiterin für Forschung, Vermittlung und Publikationen im Österreichischen Filmmuseum. Mit ihrem Forschungsprojekt „Visual History of LGBTIQ+ in Austria and Beyond“ will Müller ebendieses „Ephemere“ erfassen, das oft abseits eines industriellen oder künstlerischen Zwecks und damit meist in einem illegalisierten Kontext entstanden ist. Obwohl sich Müllers Fokus auf Filmmaterial zwischen 1900 und 2010 beschränkt, wirft die Arbeit mit derartigen Selbstdokumentationen ethische Fragen auf, die bis in die Gegenwart hineinreichen.

Zur Person

Katharina Müller leitet die Abteilung für Forschung, Vermittlung und Publikationen im Österreichischen Filmmuseum. Seit 2011 lehrt(e) sie Film-, Medien- und Kulturwissenschaften an den Universitäten Wien (Romanistik, Theater-, Film- und Medienwissenschaft), St. Gallen (HSG) und Salzburg/Mozarteum sowie an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Un-Sichtbarmachung queerer Geschichte

Un-Sichtbarkeit ist ambivalent. Und gerade bei visuellem Material, das nie für eine breitere Öffentlichkeit gedacht war, muss man kuratorisch besonders vorsichtig sein und die (eigene) Situierung befragen: „In dieser Hinsicht stehe ich gewissermaßen zwischen den Speichern: Als Mitarbeiterin des Filmmuseums könnte ich diese Filme sammeln und sie einer Langzeitsicherung zuführen. Als queer sozialisierte Person weiß ich, dass man das nicht einfach nehmen und ausstellen kann. Letzten Endes geht es also darum, wie man mit diesen Spuren umgeht und wie man vor allem die Brüche und Leerstellen einer solchen Geschichte überliefert“, sagt Müller.

Deswegen ist es für die Forscherin wichtig, zwei Schienen zu fahren: Mit dem Sammlungsprojekt „Regenbogenfilme“ in Kooperation mit QWien (Zentrum für queere Geschichte) und dem Filmmuseum arbeitet Müller im Geiste der Visibility Politics: Hier werden gezielt Leute eingeladen, ihre filmische Geschichte zu teilen. Die Bandbreite von dem, was dabei überbracht wird, ist groß: Von Super-8-Filmen aus dem Keller und Schachteln voll mit Hi8-Kassetten von Privatpersonen bis hin zu aktivistischem Material aus Communitys ist alles dabei.

Was mit jenem Material möglich ist, das nicht zur (Re-)Präsentation bestimmt ist, lotet die andere Seite des Projekts aus: Müllers Community-basierte kuratorische Arbeit, die darin besteht, mit autonomen Gruppen, Vereinen und einzelnen Personen darüber zu sprechen, was damit überhaupt passieren soll und wie darüber kollektiv Entscheidungen getroffen werden können. In klein gehaltenen Homemovie-Screenings zeigt die Kuratorin nun bis 2025 einzelne Filme und Fragmente für ein ausgewähltes Publikum. Dabei wird – ganz im Sinne des Projekts – Wert darauf gelegt, dass sich die Zuseher:innen eher durch Mundpropaganda, über queere Peer-Groups und Vereine, zusammenfinden als über große institutionelle Ankündigungen.

Queer Filmstill: Frauenhand liegt auf nackten männlichem Hintern
Blue Ladies, 1972 © Österreichisches Filmmuseum

Das Private ist politisch

„Ich weigere mich, in diesem Projekt von privaten Filmen zu sprechen“, betont Müller. In dem Moment, wo etwas gesellschaftlich ins Private gedrängt werde, bekomme die Idee von einem Homemovie einen widerständigen Drive, so die Wissenschaftlerin und bringt es so auf den Punkt: „Das Zuhause wird zu einem Ort des Widerständigen.“ Insofern sind die Selbstdokumentationen queeren Lebens nicht einfach nur privater Film, sondern machen durch den Kontext, in dem sie entstanden sind, politische Räume auf, die völlig abseits des Mainstreams stehen.

Egal ob ein Mitschnitt eines Lesbentreffens, ein Reisevideo oder die dunkle Soundcollage aus einem Club: „Das Interessante für mich ist, dass in diesem Material etwas steckt, das sich der überall zugemuteten Privatisierung von Existenz widersetzt. Es ist etwas, das komplett herausfällt.“ Dabei beobachtet Katharina Müller, dass bei den ausgewählten Screenings, die sie zu dem Material veranstaltet, stets zwei Filme ablaufen. Der eine, der sich materiell darbietet, und der andere, innere Film, der vor den Augen jener entsteht, die ihn sehen: „Mit dem, was da zur Sprache kommt, versuche ich vermittelnd zu arbeiten“, erklärt sie.

Über die Ethik der Bilder

2010 bricht die Betrachtung der Filmwissenschaftlerin ab. Denn Handy, Video und Internet multiplizieren die Menge an visuellem Material. Eine völlig neue Mediengeschichte beginnt. Und so sehr gerade das Video (im Gegensatz zum teuren Super-8-Film) zunächst als feministisches Medium wahrgenommen wurde, so sehr hatte es für viele den Beigeschmack der Überwachung. Solche Beobachtungen, sagt Müller, würden zu großen ethischen Fragen unserer Zeit führen und zu der zentralen Frage: Wie wollen wir grundsätzlich mit Bildern umgehen?

„Ich möchte die Personen nicht vorführen. Die Filme wurden in einer Zeit gedreht, in der noch nicht denkbar war, dass so etwas einmal retro erfassbar wird.“ Deshalb zeigt Müller das ausgewählte Material auch nicht auf Plattformen wie Instagram. Zudem eröffnet die Datafizierung nicht nur neue Möglichkeiten, sondern konfrontiert auch mit Risiken und Gefahren, vor allem im Kontext des Erstarkens staatlicher Repression. Müllers Arbeit will dazu bewegen, die eigene Beziehung zu und den Umgang mit Bildern zu hinterfragen. Andererseits warnt die Filmwissenschaftlerin auch vor einer Art Überprotektionismus in dieser Angelegenheit, denn: Wen genau beschützt eine derartige Sorge und wer oder was wird dadurch ausgeschlossen oder verunmöglicht?

Kuratorischer Aktivismus

„Was für mich immer wieder zum interessanten Ausgangspunkt in dem Projekt wird, ist die Plünderung des von Magnus Hirschfeld angelegten Instituts für Sexualwissenschaften in Berlin 1933 durch die Nazis. Diese gilt nicht umsonst als einer der Gründungsmomente des Dritten Reichs. Ein beispielloser Akt der Auslöschung von Diversität. Anders gesagt: Wo gesammelt wird, kann auch geplündert werden. Das lässt sich sammlungsgeschichtlich weit zurückverfolgen.“ Katharina Müller gibt durch „Visual History of LGBTIQ+ in Austria and Beyond“ eine Möglichkeit, dieses Dilemma neu zu denken. Denn nicht jede Ausstellung muss unbedingt aus-stellen. Und gerade Bewegungen wie #BlackLivesMatter oder #MeToo beweisen, dass (digitale) Sammlungen historischer Bilder auch eine bündnispolitische Kraft besitzen.

Schlussendlich ist es genau dieser Aspekt, der in Müllers Forschung relevant für die Gegenwart wird, denn „queere Geschichte ist eine Geschichte von Räumen, in denen etwas lebbar wird, oder eben nicht. In den Filmen bilden sich Räume (prä-)queerer Sozialisation nicht nur ab, sondern durch die Filme können auch neue gebildet werden. Das nenne ich kuratorischen Aktivismus.“

Zum Projekt

Das Projekt „Visual History of LGBTIQ+ in Austria and Beyond: Preserving and Curating Queer Ephemeral Media Spaces in an Age of Datafication“ (2023–2025), eine Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum, ist am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz angesiedelt. Es wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 172.000 Euro finanziert.